VOR DER MORGENRÖTE
Film-Nr.: 15532
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Genre: Drama
Genre: Historie / Kostüm
Genre: Biopic (Portraits)
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VOR DER MORGENRÖTE

STEFAN ZWEIG: FAREWELL TO EUROPE (Originaltitel)

Deutschland, Frankreich, Österreich - 2015

DVD - Code 2 - PAL

Regie: Maria Schrader
Darsteller: Tómas Lemarquis, Barbara Sukowa, Lenn Kudrjawizki, Josef Hader, Charlie Hübner, Nathalie Lucia Hahnen
Drehbuch: Maria Schrader, Jan Schomburg

Sprache: Deutsch
Untertitel: Englisch
Laufzeit: 102 Min.
Bildformat: anamorph, 2.40:1
Tonformat: Dolby Digital 5.1

Episodenfilm über die letzten Lebensjahre des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig, der schon frühzeitig die Flucht ins Ausland angetreten war, um vor dem Zugriff der Nazis sicher zu sein. Daß er als hochangesehener und erfolgreicher Literat freilich auch alle Möglichkeiten hatte, den immer unruhigeren Verhältnissen in seiner geliebten Heimat zunächst ins englische, dann brasilianische Exil auszuweichen - auch jetzt noch der neben Thomas Mann meistgelesene Autor deutscher Zunge -, setzt ihm im Wissen um die vielen Kollegen, die weniger glückreich auf dem Kontinent zurückgeblieben sind und sich hilfesuchend an den berühmten Mann wenden, derart zu, daß sein Selbstmord im Jahre 1942 in Schraders gelungenem Zweitwerk als Regisseurin als Konsequenz einer überreizten Gewissensqual erscheinen kann. Schrader, als hervorragende Schauspielerin erst kürzlich in der fulminanten DEUTSCHLAND 83-Serie erneut in bestechender Form, hat sich mit ihrem Co-Autoren Jan Schomburg (übrigens jahrelanges Clubmitglied der Traumathek), für den sie in VERGISS MEIN ICH noch vor der Kamera agierte, erfreulich mutig dafür entschieden, kein romanhaft angelegtes BioPic herunterzukurbeln, sondern in sechs inhaltlich sehr klar, fast brüsk voneinander abgesetzten Episoden die ganze Aufmerksamkeit auf einige bezeichnende Reden und Gespräche zu lenken, die einerseits die Erwartungen formulieren, die Schriftstellerkollegen an Zweig herantragen - sei es, daß sie sich von dem bekennenden Pazifisten mehr politisches Engagement gegen das Hitler-Regime erhoffen, sei es, daß seine Unterstützung gebraucht wird, um von Verfolgung Bedrohten die Ausreise ins sichere Ausland zu ermöglichen -, andererseits seine Weigerung deutlich machen, sich politisch vereinnahmen und im ungefährlichen, komfortablen Exil für wohlfeile, aber wirkungslose Widerstandsposen mißbrauchen zu lassen. Die äußerst klar gebauten Bilder von Seidl- und Glawogger-Kameramann Thaler halten dabei stets auf Distanz; eine gewisse bedächtige Steifheit und Kühle kann der Film nicht ablegen - was keineswegs gegen ihn spricht: gut möglich, daß damit die Historie sehr viel genauer getroffen ist als mit den opulenten Ausstattungsorgien süffiger Geschichtsdramen, wie vor allem britische Studios sie seit etlichen Jahren perfektioniert haben. Auch Josef Hader schlägt einen verhaltenen, zurückgenommenen Ton an: der grantlige Zyniker, den er sonst so punktgenau aus dem Ärmel schüttelt, ist einem konzentriert und präzis verkörperten feinnervigen Melancholiker gewichen, der auch in der lichten Sonne Brasiliens nur an die Feuersbrünste des in Kriegschaos versinkenden Europa zu denken vermag? Toll, einen deutschen Film zu sehen, der sich sehr erkennbar von allen Fernsehkonventionen, aber auch den Gepflogenheiten üblicher Historienmalerei gelöst hat und nur wenig Mühe hat, mit Zweigs Vision eines Europas ohne Grenzen und Pässe äußerst gegenwartsnah zu wirken?(Stefan Nottelmann)