LAURENCE ANYWAYS
Film-Nr.: 14556
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Genre: Drama
Genre: Gay / Queer Cinema
Genre: Romanze
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LAURENCE ANYWAYS

LAURENCE ANYWAYS (Originaltitel)

Frankreich, Kanada - 2012

DVD - Code 2 - PAL

Regie: Xavier Dolan
Darsteller: Melvil Poupaud, Emmanuel Schwartz, Suzanne Clément,
Drehbuch: Xavier Dolan

Sprache: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch
Laufzeit: 161 Min.
Bildformat: 1.33:1
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Features: entfernte Szenen, vorgestellt von Xavier Dolan

Kaum zu glauben, daß ein so herausragend guter Film von einem Regisseur gestemmt werden konnte, der noch keine 25 Jahre alt war (und gleichwohl mit J'AI TUÉ MA MÈRE und LES AMOURS IMAGINAIRES bereits zwei vielbeachtete Vorgänger geschrieben und inszeniert hatte): Xavier Dolan zeichnete auch diesesmal für Buch und Regie verantwortlich, übernahm auch den Schnitt, hat sich dafür allerdings, anders als in seinen ersten beiden Arbeiten, als Darsteller zurückgezogen und das Feld zwei Schauspielern überlassen, die man sich in ihren Rollen besser kaum vorstellen könnte: Melvil Poupaud, der schon für Leute wie Jean-Jacques Annaud, Éric Rohmer, Raúl Ruiz und François Ozon vor der Kamera stand, spielt den gut aussehenden Laurence Alia, der mit der wilden Frédérique ('Fred') eine von Anfang an außergewöhnlich intensive Beziehung führt. Aber ihre Liebe zueinander wird auf eine harte Probe gestellt, als Laurence sich nicht mehr länger darüber hinwegtäuschen kann, daß er sich eigentlich schon immer als Frau im Körper eines Mannes gefühlt hat und dies nun auch endlich in Kleidung und Aufmachung zeigen will. Kein einfacher Schritt, denn trotz persönlich wohlmeinender Kollegen und überraschend schnell zur Tagesordnung übergehender Schüler trifft der engagierte Literaturdozent auf Widerstand; seine Mutter, die sich kaum erstaunt, aber auch wenig einfühlsam zeigt - dem Vater klarzumachen, daß er von nun an eine Tochter hat, kommt erst gar nicht in Frage -, ist ebensowenig von der neuen Situation angetan wie Freds flippig-coole Schwester, der ins Gesicht geschrieben steht, was sie von dem Ganzen hält...
Was man dem Film als Unentschiedenheit zum Vorwurf machen könnte - daß er zwischen einer Art 'Problemfilm' und der Schilderung einer amour fou hin- und herschwankt, oft auch beide Ansätze ineinanderspielen läßt -, ist eigentlich seine Stärke: Wie schon gleich eingangs, aber auch zwischendurch immer wieder ein Reigen von Blicken spürbar macht, welche Außenseiterrolle Laurence einzunehmen gezwungen wird, um dies schließlich in den wüsten Fratzen jenes Hieronymus Bosch-Gemäldes zu verdichten, das BAP-Anhängern von der VUN DRINNE NOH DRUSSE-LP bekannt ist, und so das Leiden Laurences an der gesellschaftlichen Stigmatisierung der Passionsgeschichte anzunähern, ist beklemmend; aber nachvollziehbar ist auch die auf privater Ebene spielende Verzweiflung Freds, die sie schier zu zerreißen droht, hat sie sich seinerzeit doch in einen Mann verliebt? Der überlange Film bleibt dabei stets überraschend, weil manchmal unerwartete Solidaritäten Laurences steinigen Weg aufhellen und auch die Figur der explosiven Fred, von Suzanne Clément wirklich umwerfend verkörpert, für sich genommen spannend ist.
Daß Dolans jüngstes Werk - als Melodram so wuchtig wie Akins GEGEN DIE WAND - aber derart heraussticht, verdankt sich neben den Darstellerleistungen vor allem einem komplex ausgedachten Drehbuch und einer Inszenierung, die zwischen Realismus und reiner Filmpoesie schaltet und waltet, wie sie will und es auf geradezu verblüffende Weise schafft, den Zuschauer nicht nur über die (zwischen 1989 und '99 spielende) Geschichte, sondern eben auch durch ästhetische Entscheidungen in die neunziger Jahre zurückzuversetzen: die experimentierfreudigen 90er-Sachen seines kanadischen Landsmannes Atom Egoyan scheinen genauso Pate gestanden zu haben wie der Wong Kar-Wai von DAYS OF BEING WILD und CHUNGKING EXPRESS oder der spielerische Realismus von Olivier Assayas' IRMA VEP; auch LE JOURNAL DE LADY M. von Alain Tanner könnte einem in den Sinn kommen? Toll! (Stefan Nottelmann)