CHRONICLE OF A SUMMER
Film-Nr.: 14545
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Genre: Dokumentarfilme
Genre: Gesellschaft
Genre: Portrait
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CHRONICLE OF A SUMMER

CHRONIQUE D'UN ÉTÉ (Originaltitel)

Frankreich - 1961

DVD - Code 2 - PAL

Regie: Jean Rouch, Edgar Moin
Darsteller: Angelo, Régis Debray, Jacques, Jean-Pierre, Landry

Sprache: Französisch
Untertitel: Englisch
Laufzeit: 90 min.
Bildformat: 1.37:1
Tonformat: Dolby Digital 2.0, Mono
Features: Making Of (75 Min.), Jean Rouch at the NFT

Jean Rouch war bereits ein anerkannter Meister des ethnographischen Films (und wird als solcher von den französischen Éditions Montparnasse mit einer vielteiligen DVD-Reihe gewürdigt), als er im Sommer 1960 gemeinsam mit dem Soziologen Edgar Morin jenes Experiment in 'cinéma-verité' (wie es gleich eingangs des Films heißt) unternahm, das einer ganzen Richtung des Dokumentarfilms den Namen geben sollte. Mit tragbarer Kamera und der Möglichkeit, Synchronton aufzunehmen, ging es auf die Straßen von Paris, um den vorübereilenden Passanten mit der Frage "Etes-vous heureux?" ("Sind Sie glücklich?") persönliche Äußerungen, aber eben auch Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Themen zu entlocken. Was sehr beiläufig beginnt, entpuppt sich nach und nach als die Befragung einer insgesamt überschaubaren Gruppe von Menschen, die offenbar vielfach erst über den Filmdreh einander kennengelernt haben, in Einzelfällen den Filmemachern schon zuvor freundschaftlich verbunden waren?
Über den soziologischen Wert der CHRONIQUE wird man vermutlich streiten können - zu willkürlich müßten einem die Auswahl der Interviewpartner und der gefilmten Situationen vorkommen, zu suggestiv auch die Stichwort gebenden Fragen; aber Morin und Rouch werfen schon zu Beginn das fürs dokumentarische Arbeiten mit Film viel wesentlichere Problem auf, ob sich das Gesprächsverhalten der Mitwirkenden im Wissen, vor einer Kamera zu agieren, wohl ändern würde, und eben hierin liegt das zwischen dokumentarischer Beobachtung und Selbstinszenierung schillernde und erst aus ihrer Spannung heraus 'Kinowahrheit' produzierende Moment von CHRONIQUE D'UN ÉTÉ (der Spaziergang der Marceline über den Place de la Concorde, während sie aus dem Off eine Art inneren Monolog einspricht; die Italienerin Mary Lou, die stets hart an der Grenze zum Schauspiel zu stehen scheint, gerade dadurch aber eine seinerzeit als durchaus anstößig empfundene introspektive Tiefe erreicht). Daß über die angesprochenen Themen hinaus - die abstumpfende Langeweile der Arbeit und das beklemmende Gefühl, in einer mehr und mehr normierten Gesellschaft den eigenen Anspruch auf Selbstverwirklichung zurückstellen zu müssen, aber auch die Unabhängigkeitskriege in Afrika und ein neuer Blick auf 'die Schwarzen' - diese methodische Fragwürdigkeit das eigentliche Interesse gewesen ist, dieses Experiment zu unternehmen, wird gerade in einer Schlußdiskussion zwischen Rouch und Morin deutlich, mit der sie ihre Eindrücke von einer Vorführung des Films vor den Mitwirkenden reflektieren?
Vor allem in dieser Hinsicht ein spannendes, mitunter überraschend humoriges Dokument mit erstaunlich eloquent formulierenden Männern und Frauen, dessen Nähe zur gleichzeitigen Nouvelle Vague sofort in die Augen fällt (unter den Kameraleuten findet sich auch Godard-Mitarbeiter Raoul Coutard) - nicht zuletzt durch rein visuelle Impressionen von Paris, die sich bis dahin so gut wie nie in die zeitgenössischen Spielfilme verirrt haben dürften? (Stefan Nottelmann)