NORTE, THE END OF HISTORY
Film-Nr.: 14849
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Genre: Drama
Genre: World Cinema
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NORTE, THE END OF HISTORY

Norte, hangganan ng kasaysayan (Originaltitel)

Philippinen - 2013

DVD - Code 2 - PAL

Regie: Lav Diaz
Darsteller: Sid Lucero, Angeli Bayani, Archie Alemania, Mailes Kanapi, Mae Paner, Soliman Cruz
Drehbuch: Lav Diaz, Rody Vera

Sprache: Englisch, Filipino
Untertitel: Englisch
Laufzeit: 250 Min.
Bildformat: 2.35:1
Tonformat: Dolby Digital 5.1

Schwer beeindruckendes Schuld-und-Sühne-Drama - nicht umsonst erwähnt der Dank im Abspann Dostojewski -, das sehr nachvollziehbar zwei zunächst komplett unabhängig entwickelte Handlungsstränge miteinander verknüpft: Fabian, ein von seinen beiden Jura-Professoren als Bester seines Jahrgangs geschätzter Studienabbrecher, verfolgt eine nebulös bleibende gesellschaftspolitisch-moralische Vision 'jenseits von allem' bisher Gewesenen. Scheint seine Radikalität - sich am revolutionären Geist jener Nationalhelden entzündend, die im 19. Jahrhundert den philippinischen Unabhängigkeitskampf anführten - den Buddies seiner früheren Uni-Clique eher wie launiges Herumschwadronieren, dem man beim Bierchentrinken amüsiert zuhört, ist es dem intelligenten jungen Mann tödlich ernst, wie eine brutale Gewalttat beweist? - die ein Anderer büßen muß. Der gutherzige Joaquin kann aus dem Gefängnis heraus fortan seine kleine Familie, ohnehin schon von Schulden gedrückt, nicht mehr unterstützen; seine Frau Eliza muß sich und ihre beiden Kinder mit der anstrengenden Arbeit einer in der Nachbarschaft und auf dem Markt Obst und Gemüse feilbietenden Verkäuferin durchschlagen?
Es sind weniger die für sich genommen durchweg glaubhaften Geschehnisse, die das erstaunliche Werk von Lav Diaz so weit über den Kinodurchschnitt herausheben - ähnliche Konstellationen sind in Sozialdramen gerade aus Ostasien und Lateinamerika nicht eben selten. Aber das über Spiellänge hinweg unterschwellig bleibende Gefühl einer auf dem Leben dieser Menschen lastenden Fatalität, das europäische Kinogänger etwa an Bressons letzten Film, L'ARGENT, oder Götz Spielmanns in der Nachfolge jenes Meisterwerks stehenden REVANCHE erinnern könnte, verleiht den die elliptische Filmerzählung bestimmenden Alltagsverrichtungen Elizas auf beiläufige Weise ein ungeheures Gewicht (und läßt damit auch an Rays großen PATHER PANCHALI denken). Dies liegt zum einen an der so manchesmal atemberaubend guten Photographie, die Kamerabewegungen eher sparsam einsetzt und in der Regel statische Totalen bevorzugt (umso überraschender der rasante Sinkflug über Dächer und Strände hinweg oder die anscheinend von einer Drohne aus geschossenen Bilder, die aufmerksam in einen Straßenzug hineinlugen): die Weite der Panoramen läßt die Schicksale klein werden, ruft aber auch den berühmten Schlußsatz von THE NAKED CITY wieder wach, der den Zuschauer daran erinnert, daß die vorgeführte Geschichte nur eine unter Millionen anderen ist. Zum anderen ist es tatsächlich die lange Spieldauer von NORTE - von Langeweile muß man nicht sprechen; im Vergleich etwa zum dösend-verdämmernden BLISSFULLY YOURS, der jedwede Handlung gänzlich zum Erliegen bringt, passiert durchaus meistens was -, die den Zuschauer immer weniger auf 'Ereignisse' warten, dafür aber das sich abspielende Drama umso tiefer ins Gemüt einsickern läßt? Größtes Lob übrigens für Sid Lucero, der den nach außen hin meist ruhig und gefaßt, ja sensibel wirkenden Fabian, in dem ein alles zersetzender Nihilismus wütet, mit unglaublicher Intensität spielt?
Sehr modern - manchmal gibt's Farbgemische, die westlichen Zuschauern aus Coppolas Neonwelt in Früh-80er-Produktionen seines Zoetrope-Studios oder aus Alan Rudolphs CHOOSE ME bekannt sein könnten, aber auch zarte Pastelltöne wie in HER - und eine ungewohnt eindringliche Erfahrung! (Stefan Nottelmann)