LA FOLIE ALMAYER
Film-Nr.: 14105
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Genre: Drama
Genre: Literatur
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LA FOLIE ALMAYER

LA FOLIE ALMAYER (Originaltitel)

Frankreich, Belgien - 2011

DVD - Code 2 - PAL

Regie: Chantal Akerman
Darsteller: Stanislas Merhar, Marc Barbé, Aurora Marion, Zac Andrianasolo, Sakhna Oum, Solida Chan, Sun Yucheng
Drehbuch: Chantal Akerman

Sprache: Französisch
Untertitel: Englisch
Laufzeit: 127 Min.
Bildformat: 1.85:1

Auch wenn die Romane und Erzählungen Joseph Conrads gar nicht einmal selten Drehbuchautoren und Regisseure inspiriert haben, bleibt sein Name für die meisten Kinogänger sicherlich mit Francis Coppolas APOCALYPSE NOW verbunden, der sich bekanntlich von Conrads HEART OF DARKNESS hatte anregen lassen. Wie man weiß, hat für Coppolas Film auch Werner Herzogs AGUIRRE Pate gestanden, und sieht man von ihrem rücksichtslosen Despotismus ab, so ist dessen Titelfigur mit ihren schwärmerischen Träumen von unermeßlichem Reichtum und dem Wahn einer reinen Rasse, die er als Herrscher über das ersehnte Eldorado mit seiner Tochter begründen will, kein schlechter Anknüpfungspunkt für die 'frei nach Conrad adaptierte' neueste Schöpfung von Chantal Akerman.
Die belgische Filmemacherin, die Motive aus Conrads erster Buchveröffentlichung ALMAYER?S FOLLY aufgegriffen und zu einer Art Filmpoem verdichtet hat, zeigt, so könnte man sagen, wohin die von den Europäern angegangene Eroberungsreise in die Exotik fremder Kontinente geführt hat, siedelt sich dafür ? die Vorgaben des Romans (Malaysia, spätestes 19. Jahrhundert) abändernd ? im Kambodscha der 1950er Jahre an und führt an der Figur des Franzosen Almayer, der sich in den Kolonien reichen Segen versprochen hatte, die völlige Vereinsamung eines Mannes vor, dem die neue Heimat fremd und verhaßt geblieben ist. (Sehr schön die Szene, in der er einem von Einheimischen gesungenen Volkslied seinen Chopin entgegensetzt.)
Als eigentliches Zentrum des Films tritt allerdings (bereits mit der wirklich grandiosen Eröffnung) seine Tochter Nina hervor, eine Mestizin, die, um eine europäische Erziehung zu erhalten, in ein Internat geschickt worden war, aus dem sie recht bald wieder entlassen wurde, weil das Geld für ihre Unterbringung nicht eingegangen ist.
Diese beiden Pole - Almayer, der sein Leben in einem zum Niemandsland verkommenen Außenposten in der Hoffnung verwartet, seine wohl auch leicht inzestuös geliebte Tochter möge wiederkehren und ihm Gesellschaft leisten; Nina, die in keiner ihrer beiden Mutterkulturen mehr recht zuhause ist und aus tiefsitzendem Widerwillen ihrem Vater gegenüber die Flucht mit einem malaysischen Aufstandsführer vorzieht - sind das erzählerische Gerüst des (ausgesprochen handlungsarmen) Films; als dritte Hauptfigur müßte man eigentlich den Dschungel nennen, dessen Geräusche über weite Strecken die Tonspur bestimmen und der, wie man meinen könnte, dem europäischen Eindringling seine Isolation erst aufzwingt?
All dies wird in langen, statischen Einstellungen oft eher andeutend entfaltet, wobei die fiebrig-schwüle Atmosphäre, die sich in das melancholische Gesicht von Stanislas Merhar (in der Rolle des langsam in den Wahnsinn abrutschenden Almayer) niedergeschlagen zu haben scheint, in eigenartigem Kontrast zu dem rigiden Stilwillen der Regisseurin steht.
Leuten, die unruhig werden, wenn der nächste Schnitt nach fünf Sekunden noch immer auf sich warten läßt und die Filme ohne Plot-Orientierung als Zumutung empfinden, wird man diese Meditation nur aus Gehässigkeit empfehlen können; wer aber Mußestunden für stille Nachtwachen vor dem Fernseher übrig hat - gelegentlich wurde Akermans FOLIE in die Nähe der Filme von Apichatpong Weerasethakul (TROPICAL MALADY, UNCLE BONMEE) gerückt -, sollte sich den Film zu Gemüte führen. Locken mag er auch vor dem Hintergrund eines in den vergangenen Jahren deutlich verstärkten Interesses an Fragen des Postkolonialismus, so etwa im Filmschaffen von Claire Denis, bei den Portugiesen Pedro Costa (COLOSSAL YOUTH, CASA DE LAVA) und Miguel Gomes (TABU) oder Ulrich Köhler (SCHLAFKRANKHEIT)? (Stefan Nottelmann)